Gera bekennt sich zur Fettgusche

Gera Fettgusche Gera bekennt sich zur Fettgusche
Quelle: https://www.gera.de/sixcms/detail.php?id=230824

Gera ist eine der größten Städte im beschaulichen Thüringen, die es nicht so ganz einfach hat. Denn während Weimar die Kulturhauptstadt des Freistaats ist, Jena als Hightechstandort gilt, Eisenach die Autobauerstadt und Erfurt natürlich die Landeshauptstadt ist steht Gera für, ja was eigentlich? Als Thüringer, aber nicht Geraer, ist man da schlicht überfragt. Das hat man in Gera nun auch erkannt und bekennt sich zur Fettgusche. So werden die Einwohner Geras im Thüringer Volksmund genannt, so richtig warum weiß ich allerdings auch nicht. Auf der Website gera.de schreibt der Bürgermeister, dass der Begriff aus dem Mittelalter stammt, als die umliegenden Bauern den „Fettguschn“ das üppige Essen neideten. Die Zeit des Neids auf die Gerschen ist mittlerweile vergangen, die Fettgusche aber ist geblieben.

Man möchte sich in der Otto-Dix-Stadt nun auf sich selbst besinnen, da die prägnanten und vermarktungsfähigen Themen eben schon von Jena, Weimar, Erfurt und Eisenach besetzt sind. Gera stehe für eine familiäre Atmosphäre, eine Stadt in der man (angeblich) gut und gern lebt. Und damit sich dieses Gefühl künftig auch nach Außen gut transportiert, will man sich mit dem bisher eher negativ besetztem (zumindest aber belächelten) Begriff der Fettgusche von Nicht-Gerschen abheben.

Ich finde das einen spannenden Move, die wenigen Menschen aus Gera, die ich persönlich kenne, sind von dem Begriff in der Vergangenheit nicht sonderlich begeistert gewesen. Sollte es jetzt aber gelingen Fettgusche mit Stolz nach außen zu tragen wäre das ein echter Gewinn für das Stadtimage. Und zugleich trägt es etwas Thüringer Mundart über die Landesgrenze hinaus, was ich als Thüringer (wir Rudolstädter werden übrigens oft Brummochsen genannt) nur begrüßen kann. Und für alle Nicht-Thüringer: sprecht das jetzt vor eurem geistigen Auge bitte, bitte nicht sächsisch aus. Das klingt dann nicht nur dämlich, es beraubt uns auch unserer Identität.

Auf der Website fettgusche.gera.de gibt es übrigens auch eine schöne Abbildung der Holzplastik „Gerscher Fettgusche“ von Volker Wendt aus dem Jahr 1984. Wir Thüringer hatten also nachweislich auch schon zu DDR-Zeiten ausreichend Sinn für Selbstironie.

 

#lidlklontdich – was soll das?

Lemonaid, ein hippes Unternehmen aus Hamburg, dass die soziale Ader als Produktwert entdeckt und damit in den letzten Jahren ganz ordentlich verkauft hat, ist dieser Tage auf den kapitalistischen Bösen getroffen. Lidl hat offenbar unter eigener Hausmarke zum verwechseln ähnliche Drinks in die Regale gepackt. Der ungeübte Verbraucher wird hier tatsächlich kaum merken, dass es da einen Unterschied gibt und das nutzt Lemonaid natürlich direkt um einen Shitstorm anzuzetteln. Sogar mit eigenem Hashtag #lidlklontdich – Netter move so far.

Der Ansatz von Lemonaid gefällt mir sehr gut: mit jedem Kauf unterstützt der Kunde praktisch ein soziales Projekt in einem Herkunftsland der Rohstoffe. So habe ich das zumindest verstanden. So weit, so gut – ob und wie hilfreich die einzelnen Projekte am Ende sind lässt sich für mich nicht ergründen. Und am Ende zählt vor allem auch der Wille.

Lidl hingegen packt sich das Image, dass Lemonaid seit rund einem Jahrzehnt aufgebaut hat, befüllt es mit der üblichen billigen Brause und verkauft den Kram für 59 Cent die Flasche, was mir persönlich für Lidlbrause noch zu teuer wäre. Den Bösewicht in der Geschichte haben wir damit auch gefunden, das im übrigen auch ohne Zweifel.

Die Story ist trotzdem nicht schlüssig.

Wer sich bewußt für eine, sagen wir preisintensive, Limonade entscheidet, eben weil diese Bio, Fairtrade usw ist und darüberhinaus sogar noch soziale Projekte mit einem Teil des Verkaufserlös unterstützt, der geht doch nicht zu Lidl. Selbst ich meide Lidl, Aldi und Penny und Norma und wie die Discounter alle heißen, sofern mir das möglich ist. Weder die Atmosphäre vor Ort noch die angebotenen Produkte sprechen mich an. Und ich bin wirklich sehr weit davon entfernt ein Getränk bewußt wegen sozialen Projekten zu kaufen.

Also zurück zu den weltverbessernden Brausekäufern: was haben die im Lidl zu suchen? Ist das dann so eine Art Öko-Ablasshandel oder ist es vielleicht doch so, dass Lidl sowieso keine Chance auf die Lemonaid-Käufer hat und jetzt einfach seinen Kunden ein hipp aussehendes Getränk anbietet?

Nicht, dass das die offensichtliche und diskussionswürdige Kopie in irgendeiner Form besser macht. Nein, kopieren ist tatsächlich böse. Aber andererseits ist es wahrscheinlich sogar ein Boost für Lemonaid, denn so viel kostenlose Reichweite wie durch Lidls Kopierbrause werden sie wahrscheinlich nur selten erhalten.

Passend dazu fährt Lemonaid zum Hashtag #lidlklontdich auch direkt mit schicken Motiven im eigenen Blogbeitrag auf. Finde ich richtig gut gemacht, bestärkt mich aber auch in meiner Theorie, dass man die Brausepiraterie von Lidl gern in Kauf nimmt und jetzt die maximale Aufmerksamkeit aus der Geschichte ziehen will.

lemonaid vs lidl #lidlklontdich   was soll das?
Quelle: https://lemon-aid.de/blog/lidlklontdich/

Kein Vorwurf, eher ein ehrliches Chapeau für dieses proaktive Krisenmanagement.